Skip to content

Swiss The Who Archive setzt neu auf AtoM

Das private Archiv eines docuteam-Mitarbeiters über die Band „The Who“ wurde digitalisiert und mit dem Archivinformationssystem AtoM auf thewho.ch publiziert. Wie es dazu kam und was die Hürden bei der Umsetzung waren, erzählt Roger Rutishauser in folgendem Blog-Beitrag.

Who?

Als ich im Alter von etwa 12 Jahren das erste mal „Live at Leeds“ von meinem Vater vorgespielt bekam, wusste ich noch nicht, dass dies einer der Schlüsselmomente in meinem Leben ist. Ich konnte nicht glauben, was da von dieser runden braunen Scheibe über die Hi-Fi-Anlage auf mich los dröhnte. Diese geballte Ladung an Energie, diese Virtuosität und diese starken Songs – so etwas hatte ich vorher noch nie gehört. Ich brauchte ein paar Monate, um das einordnen zu können, war doch mein musikalischer Horizont bislang nur auf Erste Allgemeine Verunsicherung, Elvis, Jerry Lee Lewis, und was um 1990 halt so im Radio lief beschränkt. Doch dann liess mich das Who-Virus nie mehr los.

1963 gegründet, zählten sie mit ihrem Sound, der sich wie ihre Zeitgenossen Kinks und Rolling Stones stark am amerikanischen Rhythm’n’Blues orientierte, sowie mit ihrem Erscheinungsbild in Form von Pop-Art Klamotten und zur Schau gestellter Coolness, rasch zu den Lieblingen der Londoner Mod-Szene. Die Songtexte, die über die damals gängigen Themen von Liebe und Herzschmerz hinausgingen, handelten von den Frustrationen und Ängsten beim Heranwachsen als Teenager und vom Anderssein. Die Liveauftritte waren spektakulär und aufregender als alles bisher je auf Rock’n’Roll Bühnen Dargebotene – Der Schlagzeuger Keith Moon spielte wilder als „Animal“ bei den Muppets, Sänger Roger Daltrey der sich in den 70s den Status eines „Rock-Gottes“ mit Led Zeppelin’s Robert Plant teilte, schwang sein Mikrofon wie ein Lasso, und Hauptsongwriter Pete Townshend bearbeitete seine Gitarre mit grossen Posen, windmühlenartig, während John Entwistle sich ein Konzert lang kaum bewegte, dafür aber seinem Spitznamen „Thunderfingers“ gerecht wurde. Das von The Who, insbesondere Townshend und Moon „erfundene“ Zertrümmern der Instrumente am Ende der Show sowie die ganze Bühnen-Theatralik soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Musiker absolute Meister ihres Fachs waren. Nicht umsonst erscheinen Entwistle und Moon regelmässig bei Umfragen unter den Top-10 der besten Bassisten respektive Drummer aller Zeiten. Im Gegensatz zu vielen ihrer Mitstreiter der 60er Jahre überlebten The Who den Umbruch in der Rock und Popmusik, der mit dem Summer of Love und dem Aufkommen „härterer“ Musik einherging. 1969 wurden sie endgültig zu Superstars mit der Veröffentlichung ihres Doppel-Albums „Tommy“, eines der ersten Konzeptalben (auch: Rock-Oper). Im Verlauf der 70er Jahre behielten Sie ihren Status als beste Live-Rock Band der Welt und veröffentlichten weitere bahnbrechende Alben wie zum Beispiel „Who’s Next“.

My Generation

Für mich waren Songs wie „My Generation“ und „Substitute“ Teil des Soundtracks meiner Teenager-Jahre, „Quadrophenia“ liess mich mit der Mod-Kultur liebäugeln, Alben wie „Tommy“ bescherten mir transzendente Momente, der Film „The Kids Are Alright„, benannt nach dem gleichnamigen Song, ist immer noch etwas vom aufregendsten, was es an Musik-Dokumentationsfilmen gibt, und als Limp Bizkit „Behind Blue Eyes“ coverten, hatte ich, gelinde gesagt, nur ein müdes Lächeln dafür übrig. Meine Euphorie für die Band sorgte dafür, dass ich bereits Ende der 1990er Jahre eine „The Who Schweiz“ Website erstellte (thewho.ch). Ich versuchte, als „Schweizer The Who Fanclub“ eine kleine Community aufzubauen. Das Internet war noch relativ neu und ich freute mich, über die Website neue Bekanntschaften mit anderen Who-Fans zu machen. Einer davon war Alex Kipfer und mit ihm hatte ich den Lotto-Sechser gezogen. Er verfolgte die Band seit 1967 und war wohl der Einzige, der noch enthusiastischer von The Who reden konnte als ich. Tatsächlich hatte er auch so einiges zu berichten, von all den Konzerten, die er bereits besucht hatte, oder von seinem Kontakt zu Pete Townshend.

Sharing is caring

Das Grossartigste aber war, dass er über die Jahre alles gesammelt hatte, was irgendwie im Zusammenhang mit „The Who“ stand. Ordnerweise Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften, Who-Fanclub-Publikationen, offizielles Pressematerial, Fotos, Poster und so weiter. Damit nicht genug – bei vielen Konzerten hatte er selbst die Kamera in der Hand und schoss vor, neben und hinter der Bühne oder gar im Hotel einzigartige Bilder. Wir waren schnell der Meinung, dass dieser Bestand mit anderen Fans geteilt werden muss. Ich fühlte und fühle mich noch immer verpflichtet, diesen Schatz für jeden Who-Fan zugänglich zu machen. Nach 3-4 selbst organisierten Who-Fanclub-Treffen, wo wir viele der Akten zur Ansicht ausstellten, kam ich auf die Idee, das Material zu digitalisieren, um es a) der Nachwelt zu erhalten und b) prinzipiell für jede(n) über das Internet jederzeit abrufbar zu machen. Mir war damals schon bewusst, was das für einen Aufwand bedeutet, doch ich begann einfach damit, gleichsam als Hobby. Ich hatte keinen Zeitdruck und es war mir egal, wenn ich Jahre dafür brauchen sollte.

Schon bald stellte ich die ersten Scans online. In einer ersten Version des Online-Archivs pflegte ich die Bilder noch einzeln von Hand im HTML-Baum ein. Irgendwann baute ich mir schnell ein kleines CMS mit PHP und AJAX, das meinen Bedürfnissen entsprach. So konnte ich per Drag & Drop Fotos hochladen, wobei mir auch ein Thumbnail generiert wurde. Anschliessend vergab ich in einem Formular einige wenige Metadaten wie Titel und Schlagwort(e), welche in einer Datenbank gespeichert wurden, was bei der wachsenden Anzahl Fotos zusehends nötig wurde, um eine gewisse Struktur zu gewährleisten. Das Ganze war aber eine Bastelei und mühsam zu administrieren.

Und wie das so zu sein pflegt bei derartigen privaten Mammutprojekten, so ist man nicht immer mit derselben Energie und Begeisterung dabei. Nach dem letzten grossen Update ca. im Jahr 2015 habe ich das „Swiss The Who Archive“, wie ich es inzwischen nannte, nicht mehr aktualisiert oder verbessert. Zur Vernachlässigung hat in grossem Masse beigetragen, dass ich nie wirklich mit dem Resultat zufrieden war, sowohl was die Präsentation und die Retrieval-Funktionen für den Website-Besucher, als auch was das Backend für mich als Administrator betraf.

Meine Anforderungen waren einfach:

  • Bei damals immerhin schon 800+ digitalen Objekten muss der Besucher die Bildauswahl vernünftig einschränken können. Ein „Einfach mal durch das Archiv klicken“ hätte einen halben Tag Maus bedienen bedeutet und Gicht wäre die Folge gewesen.
  • Einfache Zugriffsverwaltung – es soll möglich sein, gewisse hochauflösenden Bilder nur einem eingeschränkten Benutzerkreis anzuzeigen.
  • Bequeme Administration der Metadaten.
  • Unkomplizierte Bulk-Imports.
  • Vererbung in der Taxonomie.
  • Separate Taxonomie für Personen und Sachbegriffe.

Das Problem war, dass ich keine Software-Lösung kannte, die mir meine Wünsche mehr oder weniger erfüllen konnte. Und um selbst ein solch anspruchsvolles CMS zu bauen, hatte ich keine Zeit und Lust, und auch das Know-How hätte mir in vielen Bereichen wohl auch gefehlt. Glücklicherweise lernte ich bei meinem neuen Arbeitsgeber docuteam AtoM (Akronym für „Access to Memory“) kennen, eine webbasierte Open-Source-Anwendung zur standardbasierten Beschreibung von Archiven und Archivalien. Nachdem ich knapp ein Jahr lang mit der Applikation eher vom technischen Aspekt her zu tun hatte (Installationen, Plugins, Themes erstellen, Anbindung ans Langzeitarchiv etc.), wollte ich auch meine Anwenderkenntnisse vertiefen. Und weil mir sowas in der Regel am Besten mit konkreten Anwendungsfällen gelingt, war es im Januar 2021 eigentlich klar: Mein Who-Archiv muss auf einer AtoM-Instanz laufen!

Neustart 2021 mit AtoM

AtoM läuft unter Linux, vorzugsweise Ubuntu. Ich hatte bereits einen vServer mit Ubuntu bei einem Hosting-Provider, denn mir ist wichtig, dass ich über Root-Rechte verfüge, und die braucht man definitiv, wenn man AtoM installieren will. Da ich noch ein weiteres privates digitales Archiv plane, habe ich AtoM 2x installiert, unter Verwendung zweier unabhängigen Worker und Such-Indizes. Nach Anpassungen am Webserver (nginx) war die neue AtoM-Instanz wieder auf thewho.ch erreichbar, jedoch vorläufig bis zur Veröffentlichung mit einer HTTP-Basic-Authentication geschützt. Die alte Who-Website behielt ich noch unter einer gesonderten Subdomain, für denn Fall, dass ich was nachschauen möchte.

Dann begann die grosse Arbeit der Datenmigration. Mittels SQL-Queries liess ich mir eine CSV-Liste generieren, die alle Dateinamen (Bilder/Dokumente) inklusive der verwendeten Schlagworte auflistet. Wie bereits erwähnt, sind alle Ebenen der Schlagwort-Hierarchie abgebildet. Beispiel: PUBLICATION > MAGAZINE > MELODY MAKER. Somit musste ich eine erste Bereinigung machen, indem ich PUBLICATION und MAGAZINE löschte. Aber nur, wenn ein Dokument über eine weitere Stufe verfügt! Wenn einem Dokument nur die Schlagworte PUBLICATION und MAGAZINE zugewiesen waren, weil nicht bekannt ist, aus welchem Magazin genau der Artikel stammt, durfte ich MAGAZINE nicht entfernen, sondern nur PUBLICATION. Deshalb war viel manuelle Arbeit nötig. Weitere Informationen, die ich mit-exportierte, war die Breite und Höhe (in Pixel) der Originaldatei. Diese hatte ich in meinem selbstgebastelten CMS abgefragt und in die Datenbank gespeichert. Ich dachte mir, ich könnte diese Info auch gleich in AtoM anzeigen lassen, wenn ich sie schon habe.

Als nächstes lud ich mir auf der offiziellen AtoM-Website ein Template für den Import von archivischen Beschreibungen im CSV-Format herunter. Dieses begann ich nun mit den Daten meines CSVs zu befüllen. Gewisse Spalten musste ich dabei kombinieren (beispielsweise Label „Höhe“ und „Breite“ in einer Spalte durch ein „|“ getrennt, in einer anderen Spalte den Pixel-Wert wiederum mit einem „|“ getrennt), andere Spalten musste ich neu befüllen. Eine davon war die Spalte, in der man den Pfad zu den Dateien angeben muss. Glücklicherweise waren die Bilder bereits alle auf demselben Server von der alten Website her. Also musste ich nur /den/pfad/zu/den/dateien mit dem Dateinamen kombinieren, et voilà!

Nachdem ich die beiden Hauptbestände manuell in AtoM über das GUI erstellt hatte, hat mein erster Importversuch über die Kommandozeile tatsächlich funktioniert. Die Bilder wurden allesamt kopiert, wobei auch gleich die Vorschaubilder (mit selbstgemachtem Wasserzeichen) und Thumbnails generiert wurden. Selbst die Aufnahme in den Suchindex von Elasticsearch verlief automatisch. Es sollten aber noch einige weitere Importversuche folgen, denn bei einigen Metadaten war ich mir nicht ganz im Klaren, ob ich das korrekte ISAD(G) Feld gewählt hatte. Meine Kollegin Penelope Weissman, Archivarin bei docuteam, lieferte mir noch die nötigen Erkenntnisse. Eine davon ist, dass Angaben auf Bestandesebene auch für die darunterliegenden Elemente gelten. Es ist beispielsweise nicht nötig, das Feld 5.1 „Existence and location of originals“ in jedem Dokument zu befüllen, wenn genau derselbe Inhalt bereits im darüberliegenden Unterbestand festgehalten ist. Warum ich dies aber in den meisten Fällen trotzdem tat ist der, dass mein Website-Publikum hauptsächlich wohl kaum aus Archivfachleuten bestehen wird (vielleicht durch diesen Blog-Beitrag schon?), die von sich aus in der übergeordneten Stufe nach Zusatzinformationen suchen, ISAD(G)-Konformität hin- oder her. Nach wie vor unschlüssig bin ich, was die Angabe zum Fotografen oder Autor betrifft. Bei docuteam ist dafür eigentlich das Feld 2.1 „Creator“ bestimmt. Nur macht mich folgendes stutzig:
Im Tooltip zur Beschreibung des Feldes steht: „Die für die Entstehung, Ansammlung und Pflege der Verzeichnungseinheit verantwortlichen Organisationen oder Personen sind zu benennen. […]“. Gleichzeitig ist es bei AtoM so, dass in diesem Feld nur Einträge aus der Normdatei verwendet werden können, Freitext ist nicht möglich. Das heisst, ich kann zwar mehrere Namen eintragen, aber nicht – beispielsweise durch eine Anmerkung in Klammer dahinter – angeben, ob es sich um den Fotografen, den Sammler oder den Verantwortlichen für die Pflege handelt. Deswegen entschied ich mich, das Feld 2.1 strikt nur für den tatsächlichen Ersteller zu verwenden (Fotograf, Autor), und wenn nötig heisst diese Person halt „unknown“ und ist auch so in den Normdaten enthalten.

Weitere Arbeit erwartete mich in der Anpassung der AtoM-Benutzeroberfläche. Zum einen kreierte ich ein (hoffentlich) angenehmes Theme, welches hauptsächlich mit den Farben Schwarz, Weiss, Blau und Rot gestaltet ist. Als Who-Fan weiss man, dass Blau/Weiss/Rot oft im Zusammenhang mit The Who verwendet wird. Dies geht auf die Ursprünge der Band und die Mod-Kultur zurück, wo oft das „Target“ als Erkennungsmerkmal verwendet wurde und in diesen Farben gestaltet war. Zum anderen passte ich ein paar Menü-Einträge an. Unbenutzte Einträge löschte ich und bestehende benannte ich teilweise um. „Archival Descriptions“/“Archivische Beschreibungen“ heissen jetzt einfach „Fonds“/“Bestände“, und aus „Authority Records“ wurden „Persons“. So weiss auch ein Branchenfremder, was gemeint ist.
Im Weiteren setzte ich Berechtigungsstufen: Besucher ohne Account können beispielsweise keine Objekte im Draft-Modus sehen, und auch die Bilder im Originalformat lassen sich je nach Bestand nicht öffnen. Dies, weil wir verhindern möchten, dass selbstgemachte Fotos von Alex ungehindert überall und ohne Zitierung in Instagram-, Facebook oder Twitter-Feeds erscheinen, wie das leider jetzt schon der Fall ist, da es auf der alten Website noch keine solche Beschränkung gab und sich gewisse Leute keinen Deut um die verwendete Lizenz Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) scheren. Wir sind der Meinung, dass es nichts als anständig ist, die Quelle zu erwähnen – es ist so etwas wie eine Wertschätzung oder ein Dank für die von uns geleistete Arbeit.
Zu guter Letzt galt es noch einen prägnanten, informativen Text für die Homepage sowie einen Text für die „About/Über“ Seite zu verfassen, jeweils in Englisch und Deutsch.

Fazit

Die Website ist seit dem 19. Februar öffentlich zugänglich, und wir sind gespannt, welche Reaktionen es gibt. Gemäss Google-Analytics hat thewho.ch nur wenige Besucher. Klicks und Besucherzahlen sind jedoch nicht unser Ansporn. Diejenigen, die es interessiert, sollen Freude am Inhalt haben, und hoffentlich nun über die geeigneten Hilfsmittel verfügen, mit denen sie sinnvoll nach Themen filtern und suchen können. Und ich habe mit AtoM endlich eine angenehme, strukturierte Umgebung, welche mir als Administrator und Hobby-Archivar ganz viele (und bisher noch ungenutzte) Möglichkeiten bietet, auf internationalen Archivstandards basiert und über eine Community verfügt, bei der man auch bei Bedarf Hilfe bei technischen Angelegenheiten bekommt. Die Umstellung hat sich daher sehr gelohnt, nicht zuletzt wegen dem neuen Wissen, das ich mir dadurch aneignen konnte.
Bevor ich nun neue Digitalisate hochlade, möchte ich mich aber unbedingt der Vervollständigung der bestehenden Metadaten widmen. Insbesondere bei „Form und Inhalt“ gäbe es bei vielen Fotos noch einiges zu ergänzen…

Who Highlights

Mein Lieblings Who-Album?
Sell Out – oder doch Quadrophenia?

Lieblings Live-Song? Insbesondere diese hier:
A Quick One (While He’s Away) – Dieser Clip vom Rolling Stones Rock’n’Roll Circus vereint alles was ich an The Who mag: musikalisches Können, intelligentes Songwriting, Live-Energie und Drama.
Dreaming From The Waist – Mit hervorgehobener Basslinie von John Entwistle. Mindblowing.

Lieblings Songs?
Trick of The Light, Naked Eye, The Kids Are Alright, Pinball Wizard

An den Anfang scrollen